Das flexible Interview

Schlagzeilen

Sokrates (Quelle: Wikipedia): Wie verdoppelt ein Lernender ein Quadrat, ohne vom Lehrer belehrt werden zu müssen?

Neu, 2020

ABC des flexiblen Interviews bzw. der kritischen Exploration

"Ein Weiser hört ein Wort und versteht zwei." Jiddisches Sprichwort

Der Begriff des flexiblen Interviews ist im englischsprachigen Raum geläufig. Er ist gleichbedeutend mit dem Begriff der revidierten klinischen oder der kritischen Methode oder der Methode der kritischen Exploration. Die Methode wird der qualitativen Sozialforschung zugeordnet.

Die kritische Methode der Genfer Schule ist die Grundlage für entwicklungspsychologische und für erkenntnistheoretische Forschungen. In der Pädagogik kann mit ihr das dialogische Lernen gefördert und dynamisiert werden. Mit der kritischen Methode können aber auch schulische Lehr- und Lernprozesse erforscht werden (Bang, 1966; Ducret, 2004).

Der Einfluss des FI in der Schule kann verglichen werden mit einem Bild des Amazonas, das D'Ambrosio (2004) im Zusammenhang mit der Ethnomathematik vorgestellt hat. Der Lauf der Dinge der Schule wird durch Zuflüsse verändert.

Das bedeutet für das ABC des FI, dass die kritische Methode Psychologen wie Pädagoginnen in den Bildungsprozess integrieren möchte, vergleichbar mit einem Fluss, in den Seitenarme einmünden.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass das FI Vorgänger in der Antike hat, wie z.B. den Menon-Dialog. Darin beschrieb Platon in der sogenannten geometrischen Episode, wie Sokrates mit einem Sklaven über die Verdoppelung der Quadratfläche sprach, ohne dass er ihn dabei belehrte. In Platons Akademie war dieser Dialog ein Lehr- und Übungsstück der sogenannten Hebammenkunst (Merkelbach, 1988).

Auch in der fernöstlichen Weisheitsliteratur findet man Texte, die das Lernen dem Belehren vorziehen, wie z.B. im Shobogenzo. Charakteristisch an allen Beispielen ist, dass Erkenntnis durch Dialog sowie durch Betrachtung von Erfahrung erzeugt wird. Es geht nicht um Rechthaben, sondern um Einsicht (Merkelbach, 1988). Piagets (1976) Theorie der Intelligenz betont die Evolution, die Wechselwirkung mit der Umwelt und das Denken und Tun des Subjekts. Intelligenz ist nicht eine Summe von Variablen, sondern ein permanentes, schöpferisches Konstruieren.

Das flexible Interview, Sokrates' Hebammenkunst und Wygotskis (1986) Methoden gehören zu jenen Techniken und Auffassungen, welche nach Wittgenstein (1980) als Sprachspiele (language-game) bezeichnet werden können. Das ist mehr als blosses Reden über Aufgaben. Mit der Zeit gelingt es den Fachpersonen, dass das flexible Interview ihre pädagogischen Haltungen und Tätigkeiten dynamisiert. Das Bilden erhält jene Qualität, welche Adorno (2003) als Aufgeschlossenheit definiert hat:

Ja, in Wahrheit fällt sie (die Bildung, Anm. d. Verf.) nicht einmal Anstrengungen zu sondern der Aufgeschlossenheit, der Fähigkeit, überhaupt etwas Geistiges an sich herankommen zu lassen und es produktiv ins eigene Bewusstsein aufzunehmen, anstatt, wie ein unerträgliches Cliché lautet, damit, bloss lernend sich auseinanderzusetzen. (ebd., 2003, S. 485)

Das ABC des FI bietet eine Einführung in die Technik, es differenziert den Aspekt der Co-Konstruktion und es gibt Hinweise auf dialogische Bildungsprozesse sowie auf die systemische Diagnostik.

Die systemische Diagnostik erforscht die Qualität der Beziehungen und die Ressourcen (vgl. Baumann & Epple, 2013). Sie wird mit vier Strategien charakterisiert:

1. Der Fokus liegt auf den Ressourcen und den Lösungen (vgl. Cuomo, 2007; Eggert et al. (2007).

2. Das diagnostische Verfahren ist schon eine Intervention. Das erfordert Planungen im Sinn der systemischen didaktischen Analyse, welche in der Regel über die Methodenbeschreibungen der Manuale klassischer Tests hinausgehen.

3. Die soziale Umwelt der Schülerinnen und Schüler muss einbezogen werden (vgl. Weltgesundheitsorganisation, 2017).

4. Die Qualität der Beziehungen wird untersucht, z.B. auf fördernde und hemmende Anteile (vgl. Cuomo, 2007; WHO, 2017).

 

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